From The Edge Of The Deep Green Sea: Erkenntnisse aus der PWC19 Europe

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Disintegration

Das Ironische an der Musik (und der Kunst im Allgemeinen) ist die Tatsache, dass eine Band, sobald sie ihren Zenit erreicht hat, oftmals von ihrem eigenen Erfolg gelähmt wird. Man kann in der Geschichte einer Band immer eine Vorher-nachher-Linie ziehen.  1992 veröffentlichte die legendäre Band The Cure das Album Wish, das Nachfolgealbum des düsteren Meisterwerks Disintegration aus dem Jahr 1989. Das Album erhielt gemischte Kritiken, die von „lahm“ bis „kolossal unterschätzt“ reichten. Doch rückblickend betrachtet bestand der einzige, unverzeihliche Fehler von Wish darin, dass es nach einem Album erschien, das ein ganzes Genre definiert hatte. Der Titel dieses Artikels ist eine Hommage an einen Song aus diesem unglückseligen Album: From the Edge of the Deep Green Sea. So hat sich die Band damals wahrscheinlich gefühlt: an der Schwelle zu einer neuen Phase ihrer Karriere, vielleicht keiner besseren, aber auch nicht unbedingt einer schlechteren Phase.

Unsere Branche befindet sich heute in einer ähnlichen Post-Disintegration-Situation: Nach zwanzigjähriger Konsolidierung hat sie einen Wendepunkt erreicht und steht nun an der Schwelle zu einer neuen Zeit. Was die Zukunft bringen wird, steht in den Sternen, aber wir wissen, dass sie völlig anders sein wird als das, was wir kennen.

iGEN und ihr Einfluss auf die Reisebranche

Deshalb fand ich das Motto der diesjährigen PWC Europe so passend: Empires on Edge. Als ich das atemberaubende Gebäude der Beurs van Berlage in Amsterdam (den Veranstaltungsort der PWC19) betrat, spürte ich sofort, dass etwas in der Luft lag: In unserer Branche verändert sich etwas. Die Veranstaltung begann passenderweise mit einer Auswahl innovativer Reisetechnologie-Startups, die um das beste, innovativste Produkt konkurrierten.  Außerdem war einer der interessantesten Momente am ersten Tag der iGeneration gewidmet: In etwas mehr als fünf Jahren wird sich die Zahl dieser Kinder mit Geburtsjahren zwischen 2010 und 2025 (auch als Generation Alpha oder Kinder der Millennials bekannt) weltweit auf zwei Milliarden belaufen. Laut Wissenschafts- und Technologiejournalistin Susan Fourtané „wurden [sie]zusammen mit iPhones, iPads und Apps geboren. Sie wissen nicht und können sich nicht vorstellen, wie das Leben ohne sie war.“

Einige Analysten bezeichnen die iGen schon heute als die „einflussreichste Generation des 21. Jahrhunderts“, und dieser Trend wird auch durch eine von Expedia Media Solutions durchgeführte Studie bestätigt (Generation Alpha: How the World’s Youngest Generation is Already Influencing Travel). Wie EMS feststellte, spielt die iGen schon heute eine wichtige Rolle bei der Beeinflussung der Reiseentscheidungen von Familien, von der Auswahl des Reiseziels bis hin zu den Aktivitäten vor Ort. Und auch wenn die iGens „jung sein mögen“, sind sie laut Expedia „informiert, haben eigene Ideen und Meinungen und etablieren bereits ihre Rolle und ihren Einfluss innerhalb der Familie“. EMS hat mehr als 9.000 Reisende mit iGen-Kindern oder -Enkeln befragt. Das Ergebnis ist hochinteressant: Obwohl die Generation Alpha natürlich (noch) nicht finanziell unabhängig ist, spielt sie bei der Organisation von Familienreisen schon jetzt eine wichtige Rolle. Dieser Studie zufolge betrachten 80 % der Reisenden die Planung einer Reise als gemeinsame Familienaktivität. Am wichtigsten ist es für die Eltern und Großeltern von iGens, dass die Familie auf Reisen unterhalten wird (fast 100 % der befragten Personen) und dass das Reisebudget unter Kontrolle bleibt (89 %). Doch auch wenn diese Familien preissensibler geworden sind, sind sichere und familienfreundliche Reiseziele weiterhin die wichtigste Variable.

Das könnte erklären, warum es sich bei den ausgewählten Unterkünften zu etwa 80 % um Hotels und Resorts handelt, während der Anteil der Ferienwohnungen bei 16 % liegt. Außerdem unternehmen iGen-Familien laut Expedia pro Jahr mehr als drei gemeinsame Reisen und bilden somit einen sehr interessanten Markt. iGens und ihre Familien sind kurz gesagt eine demografische Gruppe, bei der es sich lohnt, sie im Auge zu behalten. Allerdings haben sie auch besondere Anforderungen, Gewohnheiten und Erwartungen, die verstanden und erfüllt werden müssen.

Smart Working und Geschlechterparität 

Letztes Jahr im November gab die Women’s Leadership Initiative in den USA ihr Debüt. Sie untersucht, wie wichtig die Rolle der Technologie für die Bekämpfung der Geschlechterungleichheit in der Reisebranche ist. Im Rahmen der Podiumsdiskussion sprachen weibliche Führungskräfte (oder leadHERs, wie sie gerne genannt werden möchten) über ihre Erfahrungen. Dem National Center for Women & Information Technology zufolge „gehen Frauen in Führungspositionen mit einer besseren Teamdynamik, einer besseren finanziellen Performance und einer höheren Produktivität einher“.

Eine aktuelle Umfrage von PhocusWright hat gezeigt, dass von den wichtigsten Hürden, die zu überwinden sind, nicht (wie man vielleicht denken könnte) die Voreingenommenheit der Geschäftsleitung (etwas mehr als 50 %) die größte ist, sondern die mangelnde Ermutigung neuer Talente durch Mentoring (76 %). Ich führte ein langes Gespräch mit Francesca Benati, Senior VP Online Travel WEMEA bei Amadeus, die mir sagte, dass sie aufgrund der Tatsache, dass sie aus einer „sehr matriarchalischen Familie“ stammt (Benatis Mutter war eine berühmte italienische Journalistin), nie unter den Auswirkungen der Geschlechterungleichheit gelitten hatte, bis sie ihren ersten Sohn bekam.

Diskriminierung erlebte sie damals dadurch, dass die Geschäftsleitung ihr einen Großteil ihres Jobs wegnahm und anderen (meist männlichen) Mitarbeitern zuteilte. Doch Benatis Geschichte hat trotzdem ein Happy End: „Als ich einige Jahre später mein zweites Kind bekam“, erzählte sie mir, „hatte sich vieles verändert: Dank Smart Working konnte ich meinen Job in Form von Telearbeit weiter ausüben, ohne mich von meinem Arbeitsplatz abgeschnitten zu fühlen.“

 

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Wie Europäer reisen

Einer der Höhepunkte der Veranstaltung war der Vortrag European Traveler Preferences Insight, der von Maggie Rauch, Senior Director, Research bei Phocuswright, gehalten wurde. Laut Rauch ist Europas Reisewelt zwar nicht in Bestform, aber auch nicht so düster, wie es scheinen mag. Tatsächlich sind die Reisebuchungen 2018 um 2 % gestiegen. Das ist zwar keine spektakuläre Zahl, aber immerhin ein Wachstum.

Der Reisesektor, so Rauch, scheint unabhängig von der unsicheren wirtschaftlichen Situation zu sein, die allgemein in Europa herrscht. Im letzten Jahr unternahmen drei von fünf Erwachsenen aus Frankreich, Deutschland und Großbritannien Privatreisen. Allerdings stellte PhocusWright fest, dass europäische Reisende im letzten Jahr weniger ausgaben als 2016. Sie verreisten häufiger pro Jahr, ließen aber bei ihren Reisen ihren Geldbeutel buchstäblich nicht aus den Augen.

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Interessant ist auch, dass in den letzten zwölf Monaten ein Anstieg der Besuche von Reisezielen außerhalb der EU zu verzeichnen war und dass 90 % der europäischen Reisenden während ihrer letzten Reise an irgendeiner Art von Reiseaktivität teilgenommen haben. Was den Vertrieb betrifft, lässt sich nicht leugnen, dass Online-Buchungsseiten (OTAs) eine bemerkenswerte Arbeit geleistet haben, indem sie die fragmentierten Reiseinhalte online präsentieren. Das hat zu einer wichtigen Verschiebung des Kundenverhaltens geführt, insbesondere auf dem französischen Markt, auf dem sich der Prozentsatz der Reisenden, die über OTAs buchen, in weniger als fünf Jahren fast verdoppelt hat.

 

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Fazit

Trifft das Motto „Empires on Edge“ also zu? Leidet unsere Branche an einer Post-Disintegration-Störung? Die PWC19 hat mich mit einer offenen Frage zurückgelassen. Besser gesagt, mit vielen offenen Fragen. Aber ich glaube, dass die Reisebranche, wie Maggie Rauch es ausgedrückt hat, „resilient“ ist. Es mag vielleicht kein weiteres Disintegration-Album geben, doch während Sie diese Zeilen lesen, proben schon viele neue, junge Bands in ihren Kellern. Und ihre Musik ist vielleicht nicht besser, aber auch nicht unbedingt schlechter. Einfach anders.

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